o. T. (nest), 2017, Kohle auf Papier, 175 x 220 cm

The Way through the Woods / Jurriaan Benschop

Charcoal is not the easiest material to work with. In no time, it changes Nora Mona Bach’s studio into a dusty place. The floor underneath the works is covered with the powder that did not stick to the paper. It is clearly not for convenience that the artist uses loose charcoal (neither as a stick, nor mixed). She does so because of the attraction and the possibilities that charcoal on paper gives her.

In its loose form, the black can easily be moved across the paper, retouched where needed. She can alternate between airy and dense areas, take away any darkness that she first created. She might even enjoy the material challenges she has to work through to get to the image. As “getting there” seems part of what her work is about. Something has to be conquered in these works, and in the final result, we are a witness to that process. Only when everything is in place does the artist spray fixer over the drawings to make them stick to the paper.

[…]

In some of Nora Mona Bach’s work, it is hard to deny the presence of a landscape. There is a heaven or horizon, there are clouds or some bushes, a tree or the surface of water. But then, in other works, or in areas of a work, we cannot be sure what is actually depicted. We see black, grey, dense, light, we see collision of forms and contrast between heavily worked and calmer areas. Atmosphere would be the right word to connect the landscapes with these more abstract parts, and maybe that is even their main point. The artist presents us with a setting that could be the weather, but also a mental state or a mood, or just an expression of forms. It could be a view outside, but it could also be the trace of a memory that is now fixed on paper, a reflection of introspection. When she starts out, the artist has a sense of where she will go, in terms of a light or maybe a melancholic mood. But the actual image that will come out is still unknown. That will be only uncovered in the process of making it. Time is not something you can catch or see, but Bach seems to be driven by the wish to do so: to touch time in her work. One speaks about the dust of time, and that is what is collected in her work, even though it is in an active way, as she is the one dusting. She moves the black powder over the surface, she supports shapes growing and thickening, and she prevents others from appearing at all. Underneath is a curiosity about capturing life in flux, because our experiences can easily disappear from sight.

[…]

— Jurriaan Benschop (2021)

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Mit dem Nachtsichtgerät unterwegs – Ich sehe was, was Du nicht siehst. Gedanken zu den Kohlemalereien von Nora Mona Bach / Dr. Kristina Bake

[…] Nora Mona Bachs Arbeiten wirken wie Schwarz-Weiß- Fotografien von farbigen Malereien, so differenziert sind die Grautöne. Mit Bürsten und Fixativ, einem flüssigen Bindemittel, legt sie die Schwärze an und bindet sie dann ein in kraftvolle Strukturen von Grau, von schwungvollen Linien, energischen Schwüngen, Klecksen, Tupfen, bewegten Spritzern und Blattformen. Fixiert erneut, um diesen Zustand festzuhalten, an dem sie dann weiterarbeitet. Sie arbeitet von hell zu dunkel und von dunkel zu hell. Mit Kohlenstaub lässt sich mehr auf dem Papier anstellen als mit einem Stift aus gepresster Kohle.
Der Staub lässt sich hin und her wischen, mit Fingern und Pinseln verteilen, man kann ihn mit Flüssigkeit zu Brei binden, bearbeiten, mit Radiergummi wieder abnehmen und mit anderen Werkzeugen sogar zu scharfen Linien formen. Kohle ist eines der ältesten Mal- und Zeichenmittel der Menschheit, diente dann aber lange nur als billiges Arbeitsmittel, um Malerei- en vorzubereiten, weil man das Material leicht korrigieren kann. Das, was Nora Mona Bach macht, habe ich noch nie gesehen.
Mit jedem Werk erweitert sie ihr technisches Repertoire, jede Arbeit beinhaltet eine Summe von Möglichkeiten. Die Künstlerin hat diese Technik entwickelt und über die Jahre perfektioniert. Sie denkt in großen Dimensionen, nimmt es mit femininer Wucht mit alten Männern auf. Wer denkt beim Betrachten ihrer Arbeiten nicht mal an William Turner, Max Ernst, Jackson Pollock oder Anselm Kiefer? Nicht weil sie von ihnen irgendetwas übernommen hätte, sondern es ist ihre Unerschrockenheit, mit der sie Nie-Gesehenes aus diesem „armen“ und „dreckigen“ Material erschafft und dafür eine eigene Technik entwickelte.
Den Zufall plant sie dabei als Arbeitsmittel ein, fördert ihn gezielt, indem sie wohlüberlegt das Fixativ auf die leere Papier- bahn wirft. […]

— Dr. Kristina Bake

Auszug aus dem Text Mit dem Nachtsichtgerät unterwegs – Ich sehe was, was Du nicht siehst. Gedanken zu den Kohlemalereien von Nora Mona Bach aus dem Katalog Nora Mona Bach – Metamorphit, erschienen 2024 im MMKoehn Verlag Leipzig.

Bake, Kristina/Engelmann, Ines Janet/Fruehsorge, Jan-Philpp, Nora Mona Bach: Metamorphit, Leipzig 2024.

Visit / Besuch (2015/20) Kohle und Pastell auf Papier 220 x 240 cm

Der Rand als Ziel / Michael Freitag

‚Man kann nicht einfach vor dem Bild stehen, man muss es ablaufen – oder ihm sozusagen entlaufen, um es ermessen, also sehen zu können. Und man muss aufhören, es zu sehen, wenn man herantritt, um dann umhüllt zu werden vom Anblick samtiger Auftragsspuren, von abgrundtiefem, unfettigem Schwarz, vom Hauch einer Verwischung, der mehr preisgibt, als sie zudeckt. ‘

[…] Auf diesen Riesenformaten, auf denen nichts irgendwie Erkennbares vorkommt und dann vergrößert scheint, ist das motivische Festlegen wie ausgestaubt oder im Kohlepulver so umkristallisiert, dass die Zeichnung als eine Art Kartogramm der Innerlichkeit zu einem Bilde kommt, wenn man es nicht als reine Demonstrationen der Abgewandtheit verstehen will. Gerade darin sind diese Zeichnungen aber Kunst, also radikale, in allen Schnörkeln schnörkellose Selbstbehauptung, immanent herbeigeführte Setzung und richtungslos gleichsinnige Erarbeitung. Sie zeigen dennoch nicht nichts, denn die Zeichnungen zwingen jeden, statt nach ihrem Gegenstand nach ihrem Wesen zu fragen – und diese Hinführung ist die Aufgabe der Kunst, seit es sie gibt. So konfrontiert jedes dieser Blätter die Betrachtung nicht mit etwas Gesehenem, einem Objekt, einem Modell, einem Anblick, einem Genre, einem Sujet, sondern es setzt die Aneignung dem Abbild des Prozesses aus: dem Zeichnen der Zeichnung – ganz wie die Künstlerin selbst es tut.

Der Vorgang, die Ausbreitung, das Herausmendeln von Strukturen, Sphären, Punkten, Flecken, Schraffuren, Verdichtungen, Öffnungen, von Regionen der Fülle und der Leere, der Tiefe und der Durchlichtung, das ganze Arsenal der Möglichkeiten einer grammatikalisch undefinierten Struktur, bezeugt den Verlauf eines Suchens, die Spuren eines Werdens, das alle Optionen der Erfüllung, der Rücknahme, der Überwindung, der Veränderbarkeit als spannungsreiche Latenz offenbart: Was immer man sieht, es könnte durch Auftrag und Abrieb auch in makellosem Weiß oder Schwarz enden. Spätestens
dann merkt man auch, dass das Format, selbst wenn es alles zu sprengen scheint, was für eine Zeichnung denkbar sein mag, begrenzt bleibt, die Zeichnung aber nicht. Man könnte auch sagen: Der komponierte Illusionsraum, den die Kunst seit 600 Jahren kennt, hat eine definierbare Tiefe, die Graustufe aber nicht.

Es gibt auf diesen Zeichnungen auch sonst keine welthaltigen Prämissen, kein Oben und Unten, das dem physischen Verständnis von Basis und Überbau, von Last und Schwerelosigkeit entspräche, weil diese Ordnungskriterien unseres Wirklichkeitssinns hier, wie in der freien, unerzählten Poesie, von der Logik ihrer internen Bezüge erlöst werden. Deshalb stürzen auch alle Anflüge von Assoziationen, sobald sie auch nur aufscheinen, durcheinander und übereinander: Die Erinnerung an einen Gebirgszug wird buchstäblich verflüchtigt, weil zu seinem Dasein in spiegelverkehrter Horizontlinie kein Gegenstück existiert. Da ein Ast, der vom Rand kommt und vielleicht
doch lieber ein verquerer Balken von dichtem Ruß ist. Hier eine Halmstruktur, die vielleicht doch nur den Einsprüchen des Radiergummis gehorcht. Blattwerk oder die Nachbarschaft von Spritzern und eine sanfte Versöhnung in der Herzform von Lindenlaub? Die Anhalte an irgendein ehemaliges Vorkommen schwimmen in einem Urteich der Vorformen, in einer kosmischen Agonie des Entgrenzten, in einem Tümpel des Noch-Nicht oder eines Nicht-Mehr dahin. So bekommt man mehr zu sehen, als man wissen will, weil man mehr sieht als man wissen kann. An diesem Punkt erst
beginnt man die Zeichnung zu denken: Wenn die konkrete Darstellung von etwas ausbleibt, ist man, wie in der abstrakten Kunst, nennen wir sie ruhig so, auf das Prinzip verwiesen.
Tritt ein Prinzip nicht hervor, bleibt die subjektive Deklaration. Fällt diese weg (das Charakteristische von Handschrift oder Gesten), dann steht man vor dem Medium selbst und ist frei, frei auch von aller Sicherheit. Nicht
zuletzt von der, was Zeichnung eigentlich sei, wenn sie nach dem Untergang der Kunstgeschichte aufgegangen ist im Allmöglichen der kalt enthistorisierten, nachmodernen, zeitgenössischen Kunst, also im diskursverhafteten und nach Symbolen verlangenden Jetzt. […]

— Michael Freitag (2018)

Auszug aus dem Text ‚Der Rand als Ziel‘ von Michael Freitag – Direktor der Lyonel-Feininger-Galerie / Museum für grafische Künste– Quedlinburg, Monographie und Text erschienen im Sommer 2018 im SandsteinVerlag, Dresden.